Der Schatten der Deportation auf meinem Leben

Erinnerungsfoto aus dem letzten Arbeitsjahr im Lager Nowotroitzk: v. l. Anna Schneider, Margarete Schneider (im Text die Godi, Bildmitte) und Barbara verh. Pollak, alle drei aus Jahrmarkt. Foto: privat

Mein Leben hing eng mit der Deportation meiner Mutter Susanne Klemm, geborene Schneider, und Tante Magdalena Schneider nach „Russland“ zusammen. Während meine Mutter nach „nur“ drei Jahren in der Sowjetunion wegen Krankheit früher entlassen wurde, kam ihre Schwester erst nach fünf Jahren zurück.

Nicht gleich, aber mit der Geburt meiner Schwester nach fünf Jahren, blieb ich bei meinen Großeltern und der unverheirateten Tante (Godi genannt). Aus Platzmangel zogen meine Eltern mit der Oma väterlicher Seite und meiner kleinen Schwester in ein anderes Haus.

Für meine Oma war es einfach zu sagen, lasst doch die Helen bei uns, sie hatte ja schon einmal dieses Schicksal mit ihrer Schwester erlebt und wiederholte das einfach.

Es war für mich dann ein Leben als Einzelkind, rundum umsorgt, ja sogar verwöhnt. Ich wurde zum Lebensinhalt meiner unverheirateten Godi. Sie widmete sich ganz meinem Wohlbefinden und der Erziehung, die aber auch der Oma oblag. Godi hatte sich entschlossen, nach ihrer Rückkehr aus der Verschleppung und dem Tod ihres Verlobten Hans Kirth an der Front nicht mehr zu heiraten. Sie war oft traurig, demütig und sehr genau in allem was sie tat. Mit Godi lernte ich beten, in die Kirche gehen, mit ihr ging ich jedes Jahr an Allerheiligen auf den Friedhof. Die Dunkelheit und das schimmernde Licht der Kerzen blieben für immer in meiner Erinnerung. Dazu mischte sich ein leises Weinen meiner Godi, wenn die wehmütigen Lieder für die Toten im „fernen Russland“ gesungen wurden.

Fragend und traurig musste ich jedes Jahr diese große Trauer ertragen. Erst als ich älter wurde, erzählten Godi und meine Mutter von der schweren Zeit im Lager. Der 14. Januar wurde zu einem besonderen Tag, an dem der Deportation gedacht wurde. In der Zigeunergasse wurden die Leute damals gesammelt, unsere Oma und Opa konnten es nicht fassen. Beide Töchter, im Alter von 22 und 23 Jahren, wurden ihnen geraubt.

Die lange Fahrt in Viehwaggons war unvorstellbar, ohne Toilette, viele Menschen eng zusammengepfercht, Männer und Frauen, Jugendliche. Wie oft sie Gras gegessen haben in „Russland“, musste ich oft anhören, wenn das Essen nicht schmeckte.

Es gab Zeiten, da verblasste das Geschehen. Doch wenn der 14. Januar nahte, wurden die Wunden wieder aktiv. Dadurch, dass meine Godi keine eigene Familie gegründet hatte, war es für sie viel schwerer das Schicksal ein ganzes Leben allein zu ertragen.

Was ich bestaunte, waren die engen Freundschaften, die entstanden und auch danach gepflegt wurden. Der Kontakt zu anderen Menschen war sehr wichtig. Zum Beispiel erzählte Godi von den „Sachsen Mädchen“, so nannte sie die Siebenbürger Sachsinnen, lobte ihre Art und Einstellung zum Leben, sah gleichzeitig wie wichtig diese für das Überleben war. Ein Spruch, den sie oft sagte, hat für mich heute noch Gültigkeit: „Du merkst erst in schwierigen Lagen, wie viel du kannst wenn du musst.“ Gott sei Dank gab es nicht allzu viele Ereignisse, in denen ich das Zitat durchleben musste. Doch mit dem fortschreitenden Alter war und ist es bestimmt wieder besinnend nötig. Ich gebe daher diesen Spruch weiter, mir hat er Mut gemacht.

 

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